Institut für Elebnispädagogik
Erläuterungen
zur
OUTWARD BOUND-Idee
Mit der Vergabe des „PAUL GAUSELMANN-PREISES“ soll an den Reformpädagogen Kurt Hahn (1886 - 1974) erinnert werden, der sich als vielfacher Schulgründer [u.a. „Schule Schloss Salem“ am Bodensee, Gordonstoun / Schottland, „Schule Birklehof“ im Schwarzwald, Landerziehungsheim „Louisenlund“ an der Schlei, „United World Colleges“ (Internationale Oberstufen-Internats-Gymnasien) in verschiedenen Ländern und Erdteilen] und engagierter Verfechter einer „Erziehung zur Verantwortung“ einen Namen machte.

Insbesondere mit den sogn. Outward Bound-Kursen wollte Kurt Hahn einerseits zur Verbreitung und Verbreiterung, andererseits zur kreativen Umsetzung seiner pädagogischen Ideen beitragen, wie sie in den Internatsschulen längst praktische Bedeutung erlangten, dort aber nur für wenige Jugendliche wirksam werden konnten. In speziellen Kursen wurden junge Menschen zwischen 16 und 21 Jahren und bei (zunächst) vierwöchiger Dauer mit erlebnispädagogisch relevanten und natursportlich akzentuierten Erziehungs- und Bildungsprogrammen konfrontiert.

Outward Bound ist ein Begriff aus der englischen Seefahrt: ein Schiff kann – zu großer Fahrt ausgerüstet und bereit – auslaufen. Dieses Bild wurde von Kurt Hahn auf Anregung eines englischen Reeders in die Pädagogik übertragen: der junge Mensch, der die Kindheit hinter sich gebracht hat und auf der Schwelle zum Erwachsensein steht, soll auf eine aktive und verantwortungsbewusste Lebensführung vorbereitet werden – eben auf seine „Fahrt ins Leben“.

Outward Bound-Veranstaltungen wollen und sollen den von Kurt Hahn seinerzeit analysierten und so benannten „Verfallserscheinungen“ in der Gesellschaft entgegenwirken:
  • Verfall der menschlichen Anteilnahme,
  • der Sorgfalt,
  • der Initiative und
  • der körperlichen Tauglichkeit.

Eine Übersetzung der Aussagen Kurt Hahns in die Wirklichkeit von heute steht in wesentlichen Grundzügen zwar noch aus, hat aber – hier und da – bereits begonnen. Dazu dürfte auch gehören, die einst gefassten Begriffe auf ihren Beschreibungswert hin zu überprüfen:

Wenn Kurt Hahn z.B. vom „Verfall“ spricht, dann geht er offenbar von einer „heilen Welt in grauer Vorzeit“ aus, in der Harmonie herrschte und erst später Verfallserscheinungen eintraten. Zu genau wissen wir heute aber, dass Harmonie und Disharmonie eng zusammengehören und seit jeher Bestandteile der Menschheitsgeschichte sind; beide stehen einerseits in scharfem Gegensatz zueinander, andererseits ergänzen sie sich in einem sinnvollen Wechselwirkungsgefüge. Harmonie und Disharmonie benötigen sich geradezu wechselseitig, denn Entwicklung ohne Krise erscheint undenkbar. – Unter diesem Blickwinkel bekommt der Begriff „Verfall“, wie ihn Kurt Hahn benutzte, eine eher revisionsbedürftige Bedeutung. Wenn also heute von Outward Bound-Trainingsprogrammen (im Sinne auch von sozialpädagogischen Kursen zur Persönlichkeitsbildung und -entwicklung) gesprochen wird, so werden die vier „Tatbestände“ insofern relativiert, als nun lediglich von vier erlebnispädagogischen Elementen gesprochen wird, die bei der Programmgestaltung herangezogen werden:

Outward Bound-Veranstaltungen fördern junge Menschen auf ihrem Weg zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung, sie unterstützen den Findungsprozess von Heranwachsenden, der eine selbstbewusste und sozial eingebettete Lebensführung ermöglichen soll, durch
  1. Körperliches Training,
  2. Expedition,
  3. Projekt und
  4. Rettungsdienst.

Diese vier Outward Bound-Programm-Elemente haben prinzipielle Bedeutung, müssen zusätzlich erläutert werden, sind entwicklungs- und entfaltungsbedürftig und benötigen bei der Verwirklichung soziales Engagement und pädagogische Kreativität sowohl der Verantwortlichen als auch der Gruppenmitglieder:
  • Beim körperlichen Training geht es um die Verbesserung der allgemeinen Kondition, Erhöhung der Ausdauer, der Schnellkraft und Gewandtheit, wobei die Sensibilität für die Bedeutung der Gesundheit und des physischen und psychischen Wohlbefindens über neue Körpererfahrungen und ein bewussteres Körpergefühl gesteigert werden kann.

    Dazu gehören also nicht nur Hinweise auf die Gefahren falscher Ernährung und auf Suchtprobleme (kognitiv), vielmehr geht es um praktiziertes Eingehen auf die natürlichen Bedürfnisse (sensitiv, motorisch, emotional) des Menschen.

  • Die Expedition meint das tatsächliche Hinausgehen in die (Um-)Welt, wobei sowohl der Prozess als auch das Ergebnis dieses Auf- und Ausbruchs bedeutsam sind. Für die Jugendlichen sollte die Expedition immer eine Aufgabe mit Aufforderungs- und Ernstcharakter darstellen, deren Lösung vom einzelnen Mitglied und von der ganzen Gruppe abhängt. Das kann eine Fahrt in die Nähe und in die Ferne gleichermaßen leisten; nicht auf das Überwinden von Entfernungen kommt es letztlich an, wohl aber auf das „Für sich etwas in Erfahrung-Bringen“.

  • Im Rahmen von Projekten müssen von den Teilnehmern selbst gewählte Aufgaben gemeinsam mit Sorgfalt, Geduld und Ausdauer gelöst werden. Auch hier bilden Prozess und Ergebnis eine Handlungseinheit, über die selbstkritisch reflektiert wird. Die selbständig zu bearbeitenden Projekte sollten mittelbar und unmittelbar etwas mit dem Gesamtrahmen zu tun haben, in dem sich die Outward Bound-Veranstaltung definiert.

  • Der Rettungsdienst bezog sich früher sehr stark auf entsprechende Tätigkeitsfelder (z.B. Erste Hilfe, Feuerwehr, Berg- und See-Rettung). Seit diese Dienste so stark professionalisiert wurden, dass Jugendliche dort kaum noch eine Chance haben, wirkungsvoll eingesetzt zu werden, erhalten hier zunehmend ökologisch orientierte Aufgaben ihren vergleichbaren Rang und können – nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Projekt – praktische Bedeutung erlangen.


Jugendliche – heute wird die Altersspanne breiter gefasst (ca. 15-25 Jahre) – sollen in gemischten Gruppen (Rasse, Glaube, Sprache, Geschlecht, soziale Herkunft u.a.) Gelegenheit erhalten,
  • sich selbst und die anderen neu kennen zu lernen;
  • sich herausfordern zu lassen;
  • anderen zu helfen und sich von anderen helfen zu lassen;
  • zu merken, dass mehr in ihnen steckt, als sie selbst oder andere bisher annahmen;
  • Verantwortung zu tragen und zu übertragen.

So verstanden geht es bei den Outward Bound-Veranstaltungen heute um die Verwirklichung eines ganzheitlichen erzieherischen Ansatzes, um das Lernen mit Herz, Hand und Verstand in herausfordernden Situationen mit individuellem und sozialem Aufforderungs- und Ernstcharakter und auf meist unbekannten Gebieten.

Der zeitliche Rahmen der Durchführung des Projekts sollte sechs Tage möglichst nicht unterschreiten, weil sonst die Fülle von Aufgaben und Anforderungen kaum zu bewältigen ist, denkt man zudem an gruppendynamische Aspekte einer ganzheitlich gedachten und unverwechselbaren erzieherischen Maßnahme.

Von einer Outward Bound-Veranstaltung spricht man also erst dann, wenn er inhaltlich und formal transparent geplant und durchstrukturiert wurde, wenn er sich (mehr oder weniger dicht) an den prinzipiellen Vorgaben orientiert und wenn eine (erlebnispädagogische und didaktische) Zielsetzung formuliert wurde, so dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wissen, worauf sie sich einlassen und was sie erwartet. Das Prinzip der Freiwilligkeit zeichnet Outward Bound-Veranstaltungen generell aus.

Die Erlebnispädagogik versteht sich als Alternative und Ergänzung tradierter und etablierter Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. Sie ist in der Reformpädagogik verwurzelt, geriet nach dem II. Weltkrieg fast völlig in Vergessenheit und gewinnt in dem Maße neuerlich an Bedeutung, je mehr sich Schul- und Sozialpädagogik kreativen Problemlösungsstrategien verschließen. Als Alternative sucht die Erlebnispädagogik neue Wege außerhalb bestehender Institutionen, als Ergänzung wird das Bemühen erkennbar, neue Ansätze innerhalb herkömmlicher Strukturzusammenhänge zu finden.

Hört man in unseren Tagen das Wort „Erlebnispädagogik“, so kann davon ausgegangen werden, dass primär natursportlich orientierte Unternehmungen – zu Wasser oder zu Lande, auch in der Luft – gemeint sind. Diese einseitige Ausrichtung auf „out door“-Aktivitäten (Out door-Pädagogik) ist derzeit Fakt, muss aber in Zukunft zugunsten von „in door“-Aktivitäten (In door-Pädagogik) abgebaut werden, denn gerade auch in künstlerischen, musischen, kulturellen und auch technischen Bereichen gibt es innerhalb bestehender Einrichtungen (z.B. Schulen, Volkshochschulen, Heimen und anderen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen) vielfältige erlebnispädagogische Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten.

Unter Berücksichtigung des aktuellen und vorwiegend natursportlich orientierten und akzentuierten Diskussionsstands kann folgendes gesagt werden:

Erlebnispädagogische Programme – orientiert man sich an den vielfältigen vorfindbaren Angeboten – beziehen die natürliche Umwelt mit ein und verfolgen damit meist zugleich einen ökologischen Bildungsanspruch.

Dabei scheinen terminologische Abgrenzungen notwendig zu sein:

Erlebnispädagogik ist weder Überlebenstraining (survival) noch Ranger-Ausbildung und hat auch nichts mit dem verhängnisvollen Slogan zu tun „Gelobt sei, was hart macht !“. – Erlebnispädagogik ist Erziehung zur Selbsterfahrung und -findung: die jugend- und sozialerzieherische Potenz muss bei allen Vorhaben und unter allen Umständen definiert sein und sichtbar bleiben, also die jeweilige Praxis begründbar und transparent machen.

Auch der Begriff „Abenteuer-Pädagogik“ ist kein erzieherisch sinnvoller Terminus, denn das Abenteuer ist nicht planbar; wirkliche Abenteuer treten überraschend auf, sind meist unvorhersehbar und risikoreich. – Daraus folgt: wer mit dem Abenteuer pädagogisch jongliert, wird möglicherweise erst dann merken, dass es ein gefährlicher „Hochseil-Akt“ war, auf den er sich einließ, wenn es zu spät ist.

Gleichwohl tragen erlebnispädagogische Out door-Programme immer auch ein gewisses Rest-Risiko in sich, das allerdings nach bestem Wissen und Gewissen kontrolliert und eingegrenzt werden muss.

Ein ganzheitlicher Ansatz kennzeichnet also erlebnispädagogisch definierte bzw. begleitete Maßnahmen und Programme – buten und binnen – allgemein:

Unmittelbares Lernen mit Herz, Hand und Verstand in Ernstsituationen und mit kreativen Problemlösungsansätzen und sozialem Aufforderungscharakter bilden den Anspruchsrahmen erzieherisch definierter, verantwortbarer und auf eine praktische Umsetzung ausgerichteter Überlegungen, die auf individuelle und gruppenbezogene Veränderungen von Haltungen und Wertmaßstäben ausgerichtet sind und durch sie veranlasst und begründet werden.

Der von der Ehrenbürgerin der LEUPHANA Universität Lüneburg, der Hamburger Unternehmerin Helly Bruhn-Braas, über viele Jahre geförderte „OUTWARD BOUND PREIS“ findet mit dem Jahr 2006 seine Fortsetzung unter der Bezeichnung „PAUL GAUSELMANN PREIS“. Helly Bruhn-Braas war es nämlich, die den Espelkamper Unternehmer, Paul Gauselmann, dazu motivierte, zunächst für drei Jahre in der erlebnispädagogischen Tradition dieser Preisvergabe fortzufahren. Beiden sei besonders gedankt !